Letzte Woche mussten unsere Leipziger und Dresdner Büros ohne uns auskommen: Wir waren nach Zagreb bzw. Pula in Kroatien eingeladen zusammen mit ca. 20 anderen Kulturvermittlern aus Deutschland und Österreich. Die »Begegnungsreise« sollte uns Multiplikatoren die kroatische Literatur näherbringen, im März 2008 ist Kroatien ja Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse. (Mehr dazu auf den offiziellen Seiten des Projekts: crobuch.de )
Und so reisten mit uns die Kuratoren des Schwerpunktes György Dalos und Alida Bremer, Journalisten von Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, Spiegel Online und Freitag, Verlagskollegen von Zsolnay, C.H. Beck und Ullstein , Literaturagenten (u.a. unsere Herausgeberin Christine Koschmieder) und Vertreter von Literaturhäusern, Stiftungen sowie der Leipziger Buchmesse mitsamt deren Chef Oliver Zille. Eine bunte Mischung also, so viel geballte Literaturbranche trifft man selten. Aber um es vorwegzunehmen: Es hat trotz eines dichten Zeitplans auch sehr viel Spaß gemacht.
Hier eine Zusammenfassung unseres Ausflugs:
An den ersten beiden Tagen in Zagreb ging es eher um die offizielle Seite des kroatischen Literaturbetriebs: Auf dem Plan standen ein festlicher Empfang mit kroatischen Autoren, Verlegern und Vertretern der Medien im Palast »Dverce«, davor ein Empfang beim Kultusminister Boo Bikupi?, außerdem ein Besuch beim Goethe-Institut, wo Möglichkeiten des wechselseitigen Autorenaustauschs diskutiert wurden, sowie Empfänge bei den beiden konkurrierenden Schriftstellerverbänden Kroatiens (der jüngere, eher linksliberale der beiden hatte sich 2000 neu gegründet, weil er mit dem politischen Kurs des alten nicht einverstanden war.) Wir erfuhren aber auch etwas über die sogenannte »neorealistische Prosa« eine Strömung, der auch unsere Autoren angehören und die sich Mitte der Neunziger entwickelte, nach dem Krieg in Kroatien und mit dem Ziel, die Wirklichkeit ungeschönt und ehrlich wiederzugeben.
Etwas mehr Fachinfo für uns Verleger gab es bei der Präsentation des Verlags Profil, wobei erst auf Nachfrage einige hard facts zur Buchbranche zu Tage kamen. Offensichtlich ist die Verlagsszene in Kroatien sehr überschaubar, neben vier großen Verlage, denen auch Buchhandelsketten angeschlossen sind (ein Problem für Verlage ohne diese Unterstützung, wie man sich vorstellen kann), gibt es nur ein paar Independents von Bedeutung, zu deren bekanntesten Durieux und Fraktura zählen. Der Vertrieb von Büchern läuft stark über Supermärkte und Kioske, eine Preisbindung wie in Deutschland gibt es nicht. Die Bestseller in Kroatien sind die üblichen Verdächtigen: Harry Potter, Houellebecq, Grass, Marquez (eine richtige Bestsellerliste hatte der Vertreter des Verlags aber nicht parat …). Erfreulich für uns: Letztes Jahr war bei den einheimischen Schriftstellern Olja Savicevic ein Bestseller (ihr Buch »Augustschnee« erscheint im März bei uns), aber auch Miljenko Jergovi?, Ante Tomi? und Edo Popovi?, dessen neuer Roman »Kalda« ebenfalls im März bei uns erscheint.
Abends hatten wir dann Gelegenheit uns zu unterhalten und das eine oder andere Glas Wein zu trinken (vulgo: Party). Dabei verbrachten wir auch viel Zeit mit Edo, Zoran Feri? und Boris Peri?. Letzterer spricht fließend Deutsch mit charmantem Wiener Einschlag. Eine seiner zahlreichen Anekdoten: Die beste Zigarette seines Lebens rauchte er direkt nach einer Giftgasübung bei der Jugoslawischen Volksarmee, wo er sich eine Gasmaske mit einem Kameraden teilen musste.
Ab Donnerstag standen dann eher Autoren und Lesungen im Mittelpunkt. 1994 gegründet von der umtriebigen Magdalena Vodopija, versteht sich die Dreamlike Book Fair in Pula als ein weltoffenes und liberales Zentrum des Austauschs, gerade auch mit den anderen Ländern des Balkans. Sie ist wie Leipzig die kleinere von zweien im Land. Zur Eröffnung der Buchmesse am Mittwoch, welche in einem alten K.u.k.-Offizierskasino veranstaltet wird, wurde neben diversen Reden auch eine etwas rätselhafte Performance geboten.
Am Nachmittag dann las Elke Schmitters aus ihrem Roman »Frau Sartorius«, danach stellte Edo Popovi? im Gespräch mit Alida Bremer seinen aktuellen Roman Oci (wie gesagt, bei uns »Kalda«) vor. Danach ging es zu einer Lesung in die bis auf den letzten Platz gefüllten (und zugequalmten) Galerija Cvajner. Einen Teil des dort gebotenen Musik-Lyrik-Programms »Istrien unter der Haut« werden wir zur Buchmesse auch in Leipzig sehen können. Der Abend klang dann bei einem guten Essen und anschließendem nächtlichen Spaziergang zum Hotel aus.
Am nächsten Morgen dann Poetenfrühstück mit Daa Drndi?, die nicht nur Ina Hartwig von der Frankfurter Rundschau mit ihrer Eloquenz und Ehrlichkeit begeisterte. Oliver Zille engagierte sie vom Fleck weg als Gastautorin für die Leipziger Buchmesse 2008. Eine weitere Anekdote: Auf der anschließenden Pressekonferenz enthüllte Kurator György Dalos mit feiner Ironie seine Strategie bei der Organisation des Gastlandauftritts Ungarn zur Frankfurter Buchmesse 1999 (Gedächtnisprotokoll): Er wollte den Deutschen ein Idealbild bieten, dass dann im Nachgang auch von den Ungarn zuhause erfüllt werden sollte. Eine durchaus politische Aussage zu bestimmten Strömungen nicht nur in Ungarn. Am Nachmittag präsentierte Edo Popovi? zwei neue Autoren der von ihm als Herausgeber präsentierten Reihe edition 21: Delimir Reicki und Tomica Bajsi?. Ersterer, der sich mit diesem Satz vorstellte: »Ich bin traurig, dick und hässlich, aber ich bin frech genug, Sie mit meiner Prosa zu belästigen.«, erscheint ja im Frühjahr bei Edition Korrespondenzen , ich bin gespannt.
Neben einem etwas skurrilen Empfang im Rathaus der Stadt Pula sahen wir noch weitere Lesungen, hatten aber auch mal Zeit für einen Spaziergang, da am Samstag nicht alle Lesungen übersetzt wurden.
Fazit: Insgesamt haben wir viele Eindrücke gesammelt und einiges gelernt auf dieser kurzen Reise: über die Vielfalt der kroatischen Literatur und die wichtigen Entwicklungen der letzten 20 Jahre, die wie oben angedeutet auch neue literarische Strömungen hervorbrachten. Über das Fehlen einer richtigen Literaturkritik, wie wir sie von zuhause kennen. Buchbesprechungen finden in Zeitungen/Zeitschriften/TV praktisch nicht statt, was Literatur noch mehr zu einem Insidergeschäft macht. Oder über die Befindlichkeiten eines jungen Landes, das sich abgrenzen möchte vom Jugoslawien- oder Balkanklischee im Ausland. Auch, welch große Bedeutung die Vermittlung der kroatischen Literatur in den deutschsprachigen Raum dort hat: Natürlich für Autoren, die vom Schreiben alle nicht leben können und für die ein Erscheinen in Deutschland neben der Ehre auch ein finanzieller Gewinn wäre, als auch für Politiker, die sich gerne mit den Gästen schmückten.
Außerdem hat mir die lockere und herzliche Art, wie Lesungen in Pula ablaufen, sehr gefallen. Es waren eher Gespräche, die Autoren waren sehr natürlich und meist witzig, die hierzulande gern geübten Literatenposen liegen ihnen fern.
Und last but not least konnten wir Zeit mit unseren kroatischen Autoren verbringen und die mitgereisten Journalisten näher kennenlernen.
Soweit mein Bericht, tiefergehende Analysen und Hintergrundberichte gibt es bei der Frankfurter Rundschau, Spiegel Online und dem Freitag. Mehr Fotos von unseren Ausflug hier.